“Sie wollten uns in der Scheune vernichten” – Bericht von Zeitzeugen des zweiten Weltkriegs

Zeitzeugen

Zuerst wird ihr der Papa entführt. Die “schwarzen Raben”, wie sie sie nannten, kamen immer nachts und stahlen einen Mann nach dem anderen weg. Nicht lange danach stand die Flucht an: Deutsche Mütter mit ihren Kindern wurden vor russischen Soldaten zum Bahnhof hergetrieben, wo schon Züge auf den Abtransport warteten. Wohin – das wusste niemand. Als deutlich wurde, dass es keinen freien Waggons mehr gab, trieb man die Frauen und ihre Kinder in eine Scheune zusammen, sperrte sie ab und wollte sie darin vernichten…  Meminto Stories – das sind Geschichten, die das Leben schreibt.

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Albert: Meine Oma und mein Opa hatten keine leichte Kindheit. Zuerst wird meiner Oma der Papa entführt. Die schwarzen Raben, wie sie sie nannten, die kamen immer nachts und stahlen einen Mann nach dem anderen weg. Nicht lange danach stand die Flucht an. Deutsche Mütter mit ihren Kindern wurden vor russischen Soldaten zum Bahnhof hergetrieben, wo schon Züge auf den Abtransport warteten. Aber wohin, das wusste niemand. Als deutlich wurde, dass es keine freien Waggons mehr gab, trieb man die Frauen und ihre Kinder in eine Scheune zusammen, sperrte sie ab und wollte sie darin vernichten. Aber dazu kommen wir gleich. Gehen wir zum neuen Podcast von Meminto Stories – Geschichten schreibt das Leben.

Albert: So, ihr Lieben, ihr seht jetzt meine Oma, mein Opa, mit denen mich viel verbindet, ich war hier vor vielen Jahren. Hab auch schon 3 Monate hier bei denen gelebt, als ich mein Geld gespart hab damals. Ich hab in Stuttgart gearbeitet, bin zu Daimler gefahren, jeden Morgen, um mir das Geld für eine große Weltreise zu verdienen. Bin nach Australien, Neuseeland geflogen und hab dort viel erlebt. Und hier durfte ich sein und ihr habt mich aufgenommen und es war eine schöne Zeit.

Albert: Sagt doch mal kurz, wann seid ihr beide zur Welt gekommen? Welches Jahr war das?

Oma: Ich bin am 16. Mai 1932. In Friedensdorf in der Ukraine.

Albert: Das ist heute Ukraine. Ja. 1932. Opa ist ein bisschen später zur Welt gekommen.

Opa: 1934.

Oma: Auch nicht in Friedensberg.

Opa: Nein, im Nachbardorf Gnadenheim.

Albert: Friedensdorf und Gnadenheim. Ja, schöne Namen.

Oma: Ja, deutsche Namen noch.

Albert: Wie war das Leben damals? Was, in welche? Ich meine, es war kurz vor dem Krieg, kann man sagen. Ja, aber davon habt ihr wahrscheinlich als Kinder nicht so viel mitbekommen, oder?

Oma: Genug.

Opa: Meine Mama hat müssen bei den Schweinen sein Tag und Nacht. Ja, da waren ja Kolchos. Und wir waren fünf Kinder allein zu Haus. Und in der Winterzeit, die Fenster waren ein Glas, nicht doppelt Glas.

Albert: Es war kalt.

Opa: Ja, und die Fenster waren immer zugefroren. Und Heizen haben wir nichts gehabt. Nur wenn was dann Stroh, das man bisschen konnte heizen. Und dann haben wir gesessen nach Hause am Fensterbrett und haben mit der Zunge am Glas auftauen, dass man bei uns ein Fenster geschaut hat so schräg entlang die Straße. Und von da muss die Mama immer kommen, von der Arbeit, wenn sie morgens um 10 Uhr und so kommt nach Hause. Da haben wir gesessen und dann immer durch das, was aufgetaut war, geschaut und gewartet. Wir haben nichts zu essen mehr.

Albert: Oma, du hast gesagt, du kannst dich noch an vieles erinnern, wo du fünf Jahre alt warst.

Oma: Ich kann mir noch erinnern als Papa zu Hause war. Dass er für uns nochmal im Laden ist gegangen, hat uns Bonbons gekauft. So ein Kleene Eimerchen, für mich und Peter. Heinrich, der war noch klein. Der hat noch in die Wiege gelegen. Das war das letzte Jahr an 37.

Albert: Das war so kurz vor dem Krieg.

Oma: Kurz vor, dass sie Papa genommen haben. Unser Papa war Brigadier. Wie heißt das? Karpov. Hat immer auf dem Pferd geritten, weil das war Kolchos. Musste immer die Arbeiter reiten, das Dorf rund sehen Brigade und musste immer ihnen jeden Tag Arbeit geben. Und wenn die Arbeit zu Ende war, dann hat er das zum Kontor gebracht, die Liste und dann hat er eine gekriegt, eine Liste, was er morgen wieder jedem sagen soll.

Albert: Und so war seine Arbeit.

Oma: So war seine Arbeit. Auf dem Pferd war er immer geritten, weil das Dorf war groß. Und dann ist er, das letzte mal ist er gegangen, hat abgegeben und dann hat der Mann da gesagt, der in dem Kantor geschafft hat: Peter, du kriegst für morgen schon nichts. Heute kommt der Schwarze, also die schwarze Rabe, so haben sie zu dem Auto gesagt. Und dann haben die Leute schon immer alle gefragt hast, jedes Mal kommen dann paar Männer weg.

Albert: Das heißt, man wusste auch nicht, wo die hinkommen. Haben sie mitgenommen, einfach so. Konnte sich nicht vorbereiten, dass sie irgendwas Sachen packen.

Oma: Das ist gerade bei unserem Papa wenigsten, hat der Mann das gesagt: Du bist auf der Liste, also

Opa: Aber wenn er das nicht hätte gesagt, dann hätten die gar nicht gewusst. Dann hat er gedacht: Ich bin von der Arbeit gekommen, jetzt bin ich zu Hause, kann ich Essen schlafen gehen. Und gewartet kommen die und nehmen dich.

Oma: Und dann ist er nach Hause gekommen und Mama hat gerade die Kuh gemolken, ist er erst in den Stall gegangen, ist darum herum hin und her gegangen, denkt die Mama: Was geht er hin und her. Er hatte nicht wollen, sie sollte bis Ende melken. Und dann hat er gesagt, sie soll uns sagen. Dann sind sie rein gegangen und dann haben sie uns das gesagt. Haben wir alle zusammen gebetet und geweint.

Albert: Ihr wusstet, dass der Papa wahrscheinlich oder vielleicht.

Oma: Jetzt wissen wir, dass zu dem Papa kommen sie diese Nacht nehmen. Und weißt du, zur Nacht haben wir, weil es so kalt war, es war schon November, immer die Laden zu gemacht. Und dann sind sie gekommen. Wir haben schon oft das gehört. Da, da hat es geklappert, da hat es geklappert. Und jetzt war es bis uns.

Albert: Und warum sind Sie nachts gekommen?

Opa: Immer in der Nacht, dass keiner es sieht.

Oma: Und dass die Menschen zu Hause sind und die Menschen, das sind nicht alle Ende werden.

Albert: Was haben Sie mit denen

Opa: Abgeschossen.

Albert: Ach so, sie haben sie nur geholt, weil ihr deutsche wart, ins Arbeitslager. Hatte das schon was mit dem Krieg zu tun? Weil die Angst hatten, dass die Deutschen sich dann gegen sie auflehnen, später wenn sie Krieg haben?

Oma: Ja. Und dann wirklich sind wir schlafen gegangen. Ja, die Eltern haben ja nicht geschlafen. Aber Heinrich, der hat noch in die Wiege gelegen. Er war nur 1 Jahre alt und ich und Peter haben zusammen im Bett geschlafen und waren gerade so eingeträumt. Auf einmal hat’s geklappert am Fenster. Na, jetzt sind sie da. Da sind wir auch wach geworden, ich und Peter. Peter war schon acht Jahre alt und ich war 5 Jahre. Da sind sie reingekommen. Bei unserer hatten sich wenigsten schon ein bisschen fertiggemacht. Brot im Rucksack und Schinken vielleicht. Das war immer, dass ein Stück Schinken rein. Naja, mach dich fertig. Die Unterwäsche hat Papa schon angehabt. Aber noch anziehen und weg war er.

Albert: Er hat sich nicht gewehrt. Er ist einfach mitgegangen. Wenn er sich gewehrt hätte, dann

Oma: Hätten sie ihn gleich erschossen.

Opa: Die kommen mit Gewehr. Und die haben ja kann man durchschnittlich 5 6 7 Tage, siebente Tag war er schon totgeschossen.

Albert: Ja? Also du hast deinen Papa nie wieder gesehen.

Oma: Nie wieder gesehen. Und dann im Dezember haben sie die Frauen mit die Kinder. Alle zum Bahnhof und wir sind dahin gekommen und schauen keine Waggons, gar nichts mehr da. Dann haben sie uns in die Speicher, wo sie immer Getreide waren drin, die waren leer. Haben sie alle Leute darin in die Speicher. Etliche mehrere Dörfer waren da und zugemacht.

Albert: Die Speicher haben sie verschlossen. Wie viele Menschen?

Oma: Wollten sie uns dort vernichten.

Opa: Ja Mütter mit Kinder.

Oma: Sie wollten uns doch vernichten.

Albert: Frauen und Kinder.

Oma: Ja, weil wir kamen nicht weg. Die haben uns nicht weggekriegt.

Albert: Ah, es gab keine Züge mehr.

Oma: Es gab keine Züge mehr, ja.

Albert: Das heißt, sie haben euch eingesperrt, zugemacht. Viele Frauen, Kinder. Wollten sie die Scheune abbrennen oder was wollten sie machen?

Oma: Irgendetwas Gase oder irgendwas rein lassen. Wollten sie uns da vernichten. Und dann waren 12 Jungens und die haben es irgendwie geschafft, sich zu verstecken und die sind dann gekommen und haben die Türen aufgerissen und haben geschrien: Nimmt, was ihr tragen könnt und auf die Steppe herauf und sie wollen euch hier vernichten. Und wirklich wir waren noch gar nicht weit gelaufen. Jeder hat genommen, die Hälfte seiner Sachen waren geblieben. Aber was wir konnten, haben wir getragen. So sind wir dann mehrere Dörfer, drei vier. Alle auf der Steppe gelaufen. Das waren ja große Steppe, Kolchos Steppe. Da waren wir mal ein bisschen stehengeblieben. Und dann hören wir, die Linie wird gesprengt. Eisenstücke fangen an zu fliegen. So sind wir gegangen. Immer weiter und weiter und weiter. Die Stücke sind geflogen, so Stücke. Und dann abends war es still geworden. Und dann haben wir es auch verworfen, alle hinwegsetzte zusammen und die Kinder sind eingeschlafen. Die Eltern haben, die Mütter haben gebetet und auf einmal bewegt sich ein Flugzeug über uns. Dreht sich um und fliegt wieder. Dreht sich, kommt wieder und plötzlich bleibt er, aber kommt da wahrscheinlich weg, war das zweite hinten dran und schießt das erste runter. Das war der Russ. Sollte uns jetzt von oben kaputt machen. Und der Deutsche ist gekommen und hat ihn runter geschossen. Und schnell ist er abgeflogen.

Opa: Aber er ist rausgesprungen.

Oma: Hatte er noch gesagt: Ich sollte euch vernichten, aber ich konnte das nicht. Lieber sterbe ich.

Albert: Wart ihr schon als Kinder, habt ihr euch gekannt?

Opa/ Oma: Nein, nein.

Albert: Ihr wart aus einem ähnlichen

Opa: Nur im Wald haben wir uns kennengelernt.

Oma: Wir waren Nachbarn, Nachbardorf.

Opa: Aber auf der Reise immer zusammen.

Albert: Aber ihr wart nicht in dieser Scheune zusammen.

Oma: Ja, da waren wir schon zusammen.

Albert: 1941. Das heißt aber ihr habt euch nicht gekannt. Du warst Neun Jahre, und du warst erst sieben Jahre alt.

Oma: Nee, da haben wir uns nicht gekannt.

Albert: Tja, und dann wollte ich von Oma und Opa natürlich noch wissen, wie sie sich denn kennen und lieben gelernt hatten und dafür sind sie ein bisschen in die Zukunft gesprungen. 1945.

Oma: Das war schon März. Wir waren ja, das war im Januar. Wir mussten leben noch bisschen.

Albert: Das waren immer noch 1944.

Oma: Nee, das war 45, 1945. Und dann ist Peter gekommen und sagt er: Ja ich werde nicht sitzen, ich werde mir Arbeit suchen gehen. Auf Nachbar über einer Wassermühlen. Sagt er: ich werde mal dahin gehen. Und dann hat er gefragt. Ja, haben Sie gesagt, wir brauchen Arbeiter. Und dann hat er da, hat er da Stroh gehackt. Und auf dem Feld war noch nicht gescharrt. Irgendetwas muss er ihnen ja helfen. Und da hat er gesehen, da sind Kinder rumgelaufen. Hat die Frau gefragt: Braucht ihr nicht ein Kindermädchen? Ja, hast du ne Schwester? Ja. Na, da bin ich auch da gewesen.

Albert: Er war erfinderischer. Er hat nachgedacht. Würdet ihr sagen, früher, durch den ganzen Krieg, sind Kinder schneller erwachsen geworden? Dass sie sofort einsteigen mussten, mithelfen, anpacken.

Oma: Ja, das ist es grad. Sie waren besorgt. Sie müssen sorgen. Der Vater war weg. Sie mussten, müssen alle, alle müssen wir sorgen. Na ja, und da eines, hab ich, da war ich da und eines Abends. Ich konnte eines Morgens, konnte ich nicht wach werden. Ich hab immer die Mädels geweckt. Die waren müde, ja. Aber ich war ja nicht müde. Dann hab ich die zwei Mädels geweckt, weil ich am dem Fenster ihr Bett haben. Wir haben zu dritt da geschlafen, auf dem Schuppen. Und diesmal, ich konnte nicht wach werden und drehte es um. Wie kann ich wach werden? Auf einmal sagt mir eine Stimme: Mit diesem Mann wirst du dein Leben verbringen. Dann wach ich auf: Was ist los? Hier ist kein Mann nichts nicht. Auf einmal klappert dieser. Er war Ziegenhirte.

Albert: Klappert?

Opa: Wir Deutsche unter uns, wir haben schon Ziegen angeschafft. Milch muss sein. Und haben Ziegen und muss auch wieder ein welcher hüten tut. Ja, ja. Und dann bin ich. Ja.

Albert: Und du hast im Traum gehört, oder?

Oma: Ich hab, ja, mir hat eine Stimme das gesagt. Und ich hab die Augen aufgemacht, kein Mann ist nicht. Und auf einmal klopft der. Und dann sag ich zu mir: Mit ihm? Da haben die Mädels zu mir gesagt: tscho ana tam chotschet?

Albert: Ist sie denn gleich gekommen zu?

Oma: Nein. Zum 10 Jahre.

Albert: 10 Jahre später.

Oma: Ich hab ja auch noch einen anderen Freund gehabt. Aber das wollte halt nicht sein. Das war eine Stimme von oben gekommen. Da war doch ein Mann geschickt worden.

Albert: Hast du ihn schon ein bisschen angeschaut aus der Scheune, aus dem Schuppen?

Oma: Ne, da, ich war da noch jung, hab ich noch nicht gedacht. Ich war 15 Jahre.

Albert: Ihr habt dann mit fünfundzwanzig geheiratet. Ich mein 10 Jahre habt ihr euch schon gekannt. Aber bis zur Zeit der Hochzeit sollte es noch 10 Jahre dauern und es gab eben nicht so viel zu essen. Also verzogen sich die Familien in den Wald und versuchten dort zu leben.

Oma: Von 16 Jahre mussten sie alle arbeiten gehen, die Kinder und die Mütter und die älter waren im Wald arbeiten. Den halben sie 600 Gramm Gold gegeben. Und die Kinder haben 300 Gramm gekriegt.

Albert: Jeden Tag. Das war alles?

Opa/ Oma: Weiter nichts. Wir hatten nichts.

Albert: Es ist ja wirklich wenig.

Oma: Ein Brot haben wir zu viert gekriegt. So ein Brot und da war immer ein Stückchen abgeschnitten.

Albert: Und nichts zum draufschmieren, nichts?

Oma: Nein. Wir waren froh, wenn wir ein Brot essen könnten. Das war schlimm.

Albert: Wie lange habt ihr so arm gelebt?

Oma: Weißt du, also das war von 45 bis 47, 2 Jahre bis 47 und dann

Albert: Sind viele umgekommen in dieser Zeit?

Oma: Ja, die alten sind viel gestorben. Viele viele waren noch Ältere, die sind gestorben. Aber wir sind betteln gegangen. Durch den Wald, zehn Kilometer durch den Wald. Die haben uns verboten das, weißt, dass keiner sollte gehen. Aber die waren doch so gut, haben die Kinder gehen lassen. Haben gesehen, nicht verhungern lassen. Und so sind wir dann gegangen. Ich mit meiner Padruga sind wir immer gegangen. Ende Woche blieben wir weg, dann sind wir wieder nach Hause gekommen und paar Kartoffel haben, paar Brotstücke, irgendwas haben wir nach Hause gebracht. Paar Tage waren wir geblieben, das bisschen essen konnten und wir sind wieder rausgegangen.

Albert: Oma und Opa erzählten noch lange weiter, wie sich die Wirtschaft dann langsam, aber stetig erholte, wie Umzüge stattgefunden hatten, wie dann die Hochzeit auch stattfand und das erste Kind zur Welt kam, dann das zweite und das dritte, das dann im Endeffekt meine Mutter war. Und ja, so kam ich dann irgendwann auch auf die Welt und konnte mit 14 Tagen nach Deutschland in die alte alte Heimat ausreisen.

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